Redebeitrag zum Newroz 2021 – Solidarität mit den demokratischen Kräften in der Türkei

In Dresden begingen am 21. März mehrere hundert Menschen am Ufer der Elbe gemeinsam das Newroz-Fest, das traditionelle Neujahrs- & Frühlingsfest.

Neben Musik und Tanz wurden politische Reden gehalten und verschiedene Solidaritätszeichen gesetzt. Für den immer noch inhaftierten Vordenker Abdullah Öcalan ließen Anwesende Ballons steigen, um auf sein Schicksal in nunmehr 22jähriger Einzelhaft aufmerksam zu machen.

Mit einer Schweigeminute wurde an Mazlum Doğan, Zekiyê Alkan, Rahşan Demirel, Bêrîvan und Ronahî in Vertretung aller Newroz-Gefallenen sowie an Heval Halil Sen erinnert, der sich am 12. Februar diesen Jahres vor dem sächsischen Landtag selbst verbrannte, um gegen die Haft Abdullah Öcalans und aller in der Türkei inhaftierten kurdischen Freund:innen zu protestieren.

Am Rande der Festkundgebung solidarisierten sich Menschen außerdem mit den Angehörigen und Wähler:innen der HDP (Halkların Demokratik Partisi – türk. für „Partei der Völker“). Diese gilt als letzte demokratische Opposition im türk. Parlament und wird als solche von der faschistischen-neoosmanischen Koalition aus MHP und AKP und dem türkischen Staat verfolgt, eingeschüchtert und terrorisiert.
Am vergangenen Mittwoch schließlich, erging vor dem türk. Obersten Gerichtshof ein Verbotsantrag.
Kurz vor den Newroz-Feierlichkeiten soll damit die demokratische Opposition ausgeschaltet werden. Dagegen protestierten die Teilnehmenden.

 

Im Folgenden dokumentieren wir unseren Redebeitrag bei den Feierlichkeiten in Dresden:

Liebe Freund:innen,

wir freuen uns, heute zu euch sprechen zu können. Wir begehen heute ein historisches Newroz-Fest miteinander. Wir feiern heute den gemeinsamen Widerstand gegen Terror, gegen Repression, gegen Faschismus und Patriarchat. Wir feiern den Kampf für eine freie Welt, für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung, für eine Gesellschaft der Geschlechtergerechtigkeit, der Geschwisterlichkeit und der Selbstverwaltung.
Ein Versuch dieser Gesellschaft, unsere Genos:innen in Rojava begehen heute ihr neuntes Newroz-Fest in Freiheit und müssen sich bis heute nicht nur gegen gewalttätigen Dschihadismus sondern auch gegen dessen Schirmherren, den türkischen Diktator zur Wehr setzen. Ihnen im Besonderen gilt unsere Solidarität am heutigen Tag.
Die andauernde Gewaltherrschaft des Regimes im besetzten Afrin, der missglückte Angriff auf die Region Garê und die Luftangriffe, die dieser Tage erneut zahllose Zivilist:innen das Leben gekostet haben, zeigen, mit welcher Brutalität der faschistische Staat, gegen unsere Freund:innen vorgeht. Sie zeigen aber auch, wie viel Angst die faschistischen Regime dieser Welt haben, vor einer Gesellschaft freier und selbstbestimmter Menschen, vor einer Revolution der Frauen, vor Völkern, die miteinander vereint ihre Freiheit fordern. Sie sind es, die den Diktator Erdogan und seine Kollegen nachts nicht schlafen lassen, sie sind es, die die Nationalstaaten und die kapitalistische Moderne in ihren Grundfesten erschüttern lassen und dafür gebührt ihnen unsere Solidarität, unsere Bewunderung und unser Dank!

All das bedeutet aber auch, dass uns ein großer Teil des Kampfes noch bevor steht. Das Regime stemmt sich mit aller Macht gegen den gesellschaftlichen Wandel. Wie sich schon seit einiger Zeit andeutete holt es zu einem weiteren Schlag gegen Demokratie und Selbstbestimmung aus und versucht nun, die letzte demokratische Kraft im Parlament, die HDP zu verbieten.
Hunderten Mitgliedern und Aktiven droht der jahrelange Haft und lebenslanges Verbot der politischen Betätigung, für nicht mehr als den Vorwurf, sich für eine selbstbestimmte und gleichberechtigte Verwaltung aller Bevölkerungsgruppen eingesetzt zu haben.
Abdullah Öcalan, wichtiger Vordenker der Freiheitsbewegung befindet sich immer noch in Isolationshaft. Seit fast einem Jahr fehlt von ihm jedes Lebenszeichen und türkische Faschisten verbreiten Gerüchte über seinen Tod.

Das Verbotsverfahren gegen die HDP ist dabei jedoch nur die traurige Spitze des Eisberges. Von Beginn an war die Partei mit Repressionen überhäuft. 2012 wurde sie bereits unter schwierigen Bedingungen gegründet. Mehrere kurdische Parteien wurden immer wieder von der Türkei verboten was dem Wunsch nach einer Vertretung im Parlament jedoch nicht minderte. Die HDP schaffte dann 2015 den Sprung ins Parlament trotz der 10 % Hürde. Die Freud über diesen Erfolg wurde jedoch durch konstante Repression seitens des Erdogan Regimes gedrückt.

Durch Millionen von Stimmen wurde die HDP zwar ins türkische Parlament gewählt, doch was bis heute folgte, waren Jahre der Diskriminierung, Diskreditierung und Verleumdung von Amtsträger*innen der HDP. Beispiellos wurden oppositionelle Abgeordnete, Bürgermeister*innen, Aktivist*innen und Journalist*innen verfolgt, bedroht und zahlreich in Haft gesteckt, was gerade die Bundesrepublik Deutschland bei den Fällen von Meşale Tolu und Deniz Yücel am eigenen Leibe erfahren musste. Die ehemaligen Ko-Vorsitzenden der Partei, Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, sind seit 2016 inhaftiert, obwohl erst im Dezember 2020 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte, die Inhaftierung sei nicht rechtmäßig und Demirtaş solle sofort freigelassen werden. Seit den Kommunalwahlen von 2019 sind zudem ein Großteil der 67 gewählten HDP-Bürgermeister*innen abgesetzt und durch Zwangsverwalter der AKP ersetzt worden. Die zusätzliche Autokratisierung des Staates seit dem zivilen Putsch von 2016 hat darüber hinaus die Fronten verhärtet, die Gefängnisse der Türkei weiter mit politischen Gefangenen gefüllt und ein Klima von Unterdrückung und Bedrohung erzeugt, denn nicht zuletzt das Verfassungsreferendum der Türkei von 2017 hat Erdoğans Alleinherrschaft faktisch besiegelt.

Am 17. März 2021 beantragte die Generalstaatsanwaltschaft des Obersten Gerichtshofs in der Türkei, die HDP vom Verfassungsgericht verbieten zu lassen. Die Staatsanwaltschaft wirft der HDP „terroristische Aktivitäten“ vor. Zur weiteren Begründung hieß es, HDP-Mitglieder hätten mit ihren Aussagen und Handlungen beabsichtigt, die Integrität des Staates zu untergraben. Die Co-Vorsitzsenden der ließen diese Woche Donnerstag verkünden: „Die HDP ist eine Säule des demokratischen Widerstands, die nicht wegbrechen wird. Der Kampf um Demokratie wird weitergehen.”

Am Freitag kam es dann zu einer Welle von Festnahmen, bei dem laut dem rechtspolitischen Sprecher der HDP mind. 70 Politiker:innen / Aktivist:innen inhaftiert wurden. Dies ist nicht hinnehmbar. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich ganz klar auf die Seite der demokratischen Kräfte in der Türkei zu stellen.

Das Auswärtige Amt von Minister Heiko Maas hat jedoch inzwischen nichts besseres zu tun, als zu fordern, die HPD solle sich von der PKK distanzieren. Sie stößt ins gleiche Horn wie die türkischen Faschist:innen. Die Botschaft ist klar: sie gibt Erdogan Recht!
Zu abhängig sind die kapitalistischen Staaten und die EU vom Erdogan als Torwächter auf der Balkanroute, zu profitabel sind die Waffendeals. Wen kümmert da schon Demokratie und das Schicksal tausender? Das Schweigen ist ohrenbetäubend!

Dieses Schweigen hält an, wenn der türkische Staat, wie gestern geschehen aus der Istanbuler Konvention gegen Gewalt an Frauen austritt. Er zeigt damit deutlich, wo er steht, er mach für alle erkennbar, das der Staat ein Vertreter, Patriarchaler Gewalt ist und dass die Opposition nur von einer Bewegung freier Frauen angeführt werden kann. Auch hier wieder lässt nichts die Repräsentanten
der bestehenden Verhältnisse so erzittern, wie eine Bewegung, die von Frauen angeführt wird und deren Freiheit oberstes Gebot ist. Den unzähligen Gefallenen dieses Kampfes und den Opfern von Feminiziden und patriarchalen Gewalt, auch ihnen gebührt unsere tiefe Ehrfurcht. Auch ihnen gedenken wir heute. Sehid Namirin!

All dem zum Trotz stehen wir heute hier, so wie Tausende auf der ganzen Welt die Straßen und Plätze füllen – widerständig gegen Repression und Vernichtungseifer. Radikal in unseren Ansprüchen gegen die Welt und uns selbst und kompromisslos in unserem Streben für eine bessere Welt.

Wir gratulieren allen Kämpfenden für Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung – in den Knästen, in den Bergen und auf den Straßen zu einem widerständigen Newroz-Fest!
Wir rufen Alle auf, sich dem Kampf anzuschließen und ein Zeichen der Solidarität zu setzen – mit Abdullah Öcalan und allen politischen Gefangenen, mit den Verfolgten in der Türkei und mit dem Kampf um eine freie und gerechte Welt!

Es lebe die Revolution! Es lebe die internationale Solidarität!
Newroz – Pîroz Be! Biji Berxwerdan!